Sterbeethik - Sterbehilfe

Sterbeethik und Sterbehilfe

Das Problem der Sterbehilfe ist wohl jenes, das besonders deutlich macht, wie jede Empathie sowohl durch ideologische Einschränkung des Denkens als auch durch die formaljuristische Rigorosität aus den Handlungsmotivationen ausgeblendet wird. Tetraplegiker etwa sind in unserer Gesellschaft eine Minderheit. Sie haben keine Lobby, die wirksam die Gesetzgebung beeinflussen könnte. Das gilt überhaupt für die Minderheit der schwer Leidenden, denen man jegliche Hilfe, ihr Leben zu beenden, verweigert.

Urteil: Kauf von Medikamenten zur Sterbehilfe untersagt

"Köln (ddp). Das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist nicht verpflichtet, schwerstkranken Patienten den Kauf von Betäubungsmitteln zur Sterbehilfe zu erlauben. Dies entschied das Verwaltungsgericht Köln in einem am Donnerstag[, den 09.03.2006] bekannt gegebenen Urteil. Hintergrund der Entscheidung ist das Schicksal einer seit einem Unfall im Jahre 2002 querschnittsgelähmten, weitgehend bewegungsunfähigen Frau. Sie hatte im November 2004 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beantragt, ihr den Erwerb einer tödlich wirkenden Dosis des Betäubungsmittels zur Selbsttötung zu erlauben. Die Behörde verweigerte dies. Die Frau, die Mitglied des Schweizer Sterbehilfevereins Dignitas geworden war, reiste daraufhin Anfang 2005 in die Schweiz und nahm sich dort das Leben. In der Schweiz kann das Mittel legal erworben werden. Der Ehemann der Frau klagte im April 2005 vor dem Verwaltungsgericht. Er wollte nachträglich feststellen lassen, dass der ablehnende Bescheid der Behörde rechtswidrig gewesen ist. Diese Klage wies das Gericht nun ab. Eine Verletzung eigener Rechte des Klägers sei ausgeschlossen, entschieden die Richter. Ebenso sei er nicht befugt, Rechte seiner verstorbenen Ehefrau geltend zu machen, weil ein etwaiger Anspruch auf die Erlaubnis höchstpersönlicher Natur sei und nicht vererbt werden könne. Darüber hinaus machte das Gericht auch deutlich gemacht, dass der ablehnende Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte rechtmäßig war. Denn das Betäubungsmittelgesetz sehe eine Ausnahmeerlaubnis nur bei einer medizinischen Notwendigkeit vor. Diese setze jedoch voraus, dass das Mittel zur Linderung oder Heilung von Krankheiten eingesetzt werde, also nur zu therapeutischen Zwecken, nicht aber zur Beendigung des Lebens. Diese Regelung des Betäubungsmittelgesetzes stehe sowohl mit der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch mit dem Grundgesetz in Einklang und verstoße insbesondere nicht gegen die Menschenwürde. Gegen das Urteil kann binnen eines Monats Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster gestellt werden. (Az.: 7 K 2040/05)"

Wiederum muss in diesem Fall der Tetraplegikerin die prüfende Frage gestellt werden, wer denn an der Selbsttötung Schaden nimmt. Dies führt uns wiederum auf die imkatFrage gestellte kategorische Frage. Das Betäubungsmittelgesetz mag einen Missbrauch von etwa Natrium-Pentobarbital verhindern, Giftmorden etwa zum Schaden von Mitmenschen vorbeugen. Aber warum sollte eine Aushändigung dieses Medikamentes auf Rezept, also medizinisch und juristisch kontrolliert, nicht möglich sein? Wem soll das schaden? Es sind wohl rein idealogische und rein ideologische Motive, die zum Schaden der Selbstbestimmung von Menschen durch den Systemzwang der Legislative, Judikative und Exekutive rigoros zu Jurismen verdichtet werden. Hierbei fühlen sich jene offensichtlich "geschädigt", die ihre idealogischen und ideologischen Auffassungen von anderen abgelehnt sehen.
Auch "zur Planbarkeit des Lebens am Lebensende" äußert sich der schon oben zitierte evangelische Theologe Ulrich Eibach:

"Das Verbot der Selbsttötung gilt als eines der letzten religiös begründeten Tabus in säkularen Gesellschaften. In dem Maße, in dem eine empirisch verstandene Autonomie als der primäre oder gar alleinige Inhalt der Menschenwürde nach Art. 1.1 des GG verstanden wird, wird daraus die uneingeschränkte Selbstverfügung des Menschen über sein Leben gefolgert, der Mensch als Herr und Besitzer sein Lebens betrachtet. Der Bonner Staatsrechtler Matthias Herdegen hat daher in dem neuen Kommentar zu Art.1.1 GG aus der Menschenwürde erstmals ein positives Recht auf Selbsttötung abgeleitet. Eine Beschränkung des Verfügungsrechts über sein Leben zum Tod widerspreche der Autonomie, die der Inhalt der Menschenwürde sei. Im Grunde müsste man daraus auch ein Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung und zur Tötung auf Verlangen ableiten."

Diese hier von Eibach aus christlicher Sicht als Kritik dargestellten Gedanken muss man aus autonomer Sicht allerdings unterstreichen. Es ist auch wenig hilfreich, wenn sich Eibach wiederholt auf das zur Zeit in Deutschland gültige Grundgesetz beruft. Denn dieses wird ja von christlichen Ideen und Idealen bestimmt; es ist ein Circulus vitiosus. Andererseits sind Jurismen "keineswegs unveränderliche Gesetzmäßigkeiten, sondern mehr oder minder kurzlebige Ausprägungen gesellschaftlichen Willens oder autokratischer Laune", wie dies Swoboda erkannte. Dies gilt ebenso für das Grundgesetz. Und wieder sei es unterstrichen: Es geht nicht um ein staatliches Gebot, dem das Wort gesprochen werden soll, sondern um das Verbot staatlicher Bevormundung, wenn es um ureigenste Entscheidungen sich selbst betreffend geht. Dabei kann man das Argument Friedrich Nietzsches, das Eibach zitiert, nicht vom Tisch reden, "dass man die dumme physiologische Tatsache  des naturbedingten Todes zur Tat der Freiheit werden lassen solle: Ich lobe mir den freien Tod, der kommt, weil ich will, und nicht, weil die Natur oder ein Gott es will".

"Wenn sich dieses Recht [auf Selbsttötung] aus der Autonomie ergibt, dann schließt es im Grunde auch ein, dass der Mensch befugt ist, dieses Letzturteil über sein Leben durch sein Handeln zu vollziehen und, wenn er das nicht mehr kann, dazu auch die Hilfe anderer in Form einer Beihilfe zur Selbsttötung in Anspruch zu nehmen dürfen, wenigstens sofern diese Helfer dies freiwillig tun. Das eigentliche Problem eines Rechts auf Selbsttötung liegt also -- wenigstens nach christlich-ethischer Sicht, nach der nur Gott eine derartige letztgültige Beurteilung des Lebens zusteht -- gerade in der grundsätzlichen Anerkennung dessen, dass der Mensch sein Leben in einem geistigen Akt letztgültig als für sich menschenunwürdig und lebensunwert einzustufen das Recht haben soll, dass es mithin lebensunwertes Leben gibt",

"lebensunwert" allein nur nach seiner ganz persönlichen Auffassung. Problematisch allerdings wird es dann, wenn der Schwerkranke nicht mehr in der Lage ist, diese Qualität seines Lebens selbstbestimmend zu erkennen und seinen Willen in dieser Situation zu artikulieren.

"Zuerst entscheidet der Betroffene selbst, wann sein Leben nicht mehr lebenswert, sondern tötenswert  sein soll, dann entscheiden andere nach seinem mutmaßlichen Willen -- der als gemutmaßter  Wille mehr über den Willen der anderen als den des Betroffenen aussagt, dann entscheidet die Allgemeinheit nach Kriterien, die sie für rational und vernünftig hält und die sich auch immer mehr mit dem ökonomisch Vernünftigen decken werden. Und wenn sich die Belastungen der Gesellschaft durch die stetig zunehmende Zahl multimorbider und schwerstpflegebedürftiger, vor allem alter Menschen für die Gesellschaft immer weniger tragbar erweisen, dann ist nicht auszuschließen, dass die Gesellschaft eine gelenkte Sterblichkeit -- wenn auch zunächst nur in der Form der Vorenthaltung von lebensnotwendigen medizinischen und pflegerischen Leistungen, dann aber auch eine aktive Euthanasie -- nicht nur dulden, sondern auch Kriterien dafür festlegen wird."

Solch tiefere Argumentation zum Thema Sterbehilfe ließ der Präsident der Deutschen Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, vermissen. Er sagte in einer geradezu kämpferische Verlautbarung:

Hoppe: Kategorisches NEIN zur aktiven Sterbehilfe Ärzteschaft warnt vor Dignitas-Euthanasiezentrum

"Berlin, 24.09.2005 -- Für uns Ärztinnen und Ärzte wird auch in Zukunft die Maxime gelten: Der Patient hat das Recht auf einen würdigen Tod, aber er hat nicht das Recht, getötet zu werden. Aktive Sterbehilfe lehnen wir Ärztinnen und Ärzte deshalb kategorisch ab, erklärte Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, zu den Plänen der Schweizer Organisation Dignitas in Hannover ein Euthanasie-Zentrum zu errichten. Ein einklagbares Recht auf aktive Sterbehilfe wäre nur vermeintlich die ultimative Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung, doch von da aus ist der Weg nicht mehr weit in eine Gesellschaft, die den Menschen den Tod nahe legt, wenn sie mit dem Leben nicht mehr zurecht kommen, so Hoppe. Niemand dürfe am Strafrechtsparagrafen 216 rütteln, der die Tötung auf Verlangen in Deutschland verbietet, forderte der Ärztepräsident, nichts anderes auch sei der ärztlich assistierte Suizid."

"Für uns Ärztinnen und Ärzte", beginnt Hoppe und unterstellt alle Ärztinnen und Ärzte pauschal dem Zwang der Gruppe: "Aktive Sterbehilfe lehnen wir Ärztinnen und Ärzte deshalb kategorisch ab." Das Thema "Gruppenzwang" wurde [bereits] dargestellt. Der Gruppenzwang gilt als einer der gewichtigsten Kritikpunkte.

"Es gibt Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sein können. Der Sterbende muss dann palliativ-medizinisch versorgt werden. Die moderne Palliativmedizin aber ist heute bereits in der Lage, Schmerzen und andere Symptome auf ein erträgliches Maß zu reduzieren und damit unnötiges Leid zu verhindern."

Was aber ist ein "erträgliches Maß"? Was für den Einzelnen erträglich ist, kann nur dieser rein subjektiv entscheiden; wir stoßen hierbei wieder auf die imqualia, bereits angesprochenen Qualia. Also verbleibt bei allem Können der Palliativmedizin ein "nötiges Maß" an Leid medizinisch autoritär verordnet. Hoppe fragt dabei nicht, ob der Patient dieses Maß an Schmerz und Leid auch ertragen will; er hat es zu ertragen, ob er will oder nicht. Und er untersagt jedem seiner medizinischen Kollegen, einem Sterbewilligen -- der Begriff "Suizidant" wird hier negativ belegt -- wirksam zu helfen, ja er verweist nachdrücklich auf den § 216 StGB unserer Juristen, die auch rasch und ebenso pauschalierend den Willen des Leidenden missachtend strafrechtlich-repressiv zur Tat schreiten. Der Gruppenzwang einer Standesvereinigung wird zum Systemzwang des Staates, wobei wiederum der vage und ideologische Begriff der "Menschenwürde", hier als "menschenwürdiges Sterben", von außen dem Einzelnen auferlegt wird.

"Unheilbar kranke Menschen können ihr Leben bis zuletzt als lebenswert empfinden, wenn sie professionell betreut werden, Zuwendung erfahren und nicht alleine gelassen werden. Daran sollten wir wider alle Versuchungen des Zeitgeistes unverbrüchlich festhalten, so Hoppe."

Wenn aber die gebotene professionelle Betreuung nicht ausreicht, sich die Zuwendung nur auf gelegentliche Fragen von Pflegern: "Wie geht es Ihnen heute?" beschränkt, dann ist nicht allein der idealistische Zeitgeist zu kritisieren, sondern die Realität des Alltag in deutschen Alten- und Pflegeheimen, die etwa der Sozialpädagoge Claus Fussek unüberhörbar kritisierte. Gabriele Rettner-Halder berichtete über Fusseks Buch mit der Zeitungsüberschrift: "Für viele ist der Heimaufenthalt nicht weniger als Mord auf Raten" und nimmt damit dem Autor diese Worte vom Mund weg. Das ist eine deutliche Sprache, die durchaus als ein Hilfeschrei nach den Grenzen staatlich kontrollierter Ethik verstanden werden kann, muss.

Ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview zwischen der Frankfurter Rundschau und Claus Fussek:
"Frankfurter Rundschau:

Seit der Schweizer Verein Dignitas auf den deutschen Markt drängt und für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland wirbt, gibt es wieder Bischöfe und Politiker, die laut nach einer besseren Sterbebegleitung rufen. Ist das nicht ein Grund für Hoffnung?

Fussek:

"Ich halte diese Empörung, die jedes Mal auftaucht, wenn aktive Sterbehilfe thematisiert wird, für verlogen und scheinheilig. Denn in Wirklichkeit müssten die Rahmenbedingungen in den Heimen, in der häuslichen Pflege längst verbessert werden und das passiert einfach nicht. Das ist die reinste Heuchelei."

Und weiter Hoppe:

"Leiden zu lindern und Angst zu nehmen, um damit ein selbstbestimmtes, würdevolles Lebensende zu ermöglichen -- das, und nichts anderes ist der ärztliche Auftrag".

Die Wirklichkeit geht an diesen Idealen vorbei. Was hier gesprochen wird, ist pure Idealogie.
Der soziale Rechtsstaat ist schon heute deutlich erkennbar am Ende seiner Möglichkeiten angekommen, wenn es um die Pflege von Behinderten und Alten geht. Jeder Politiker möge Pflegeheime besuchen und hautnah miterleben, wie hier oft noch junge, geistig-seelisch lebendige Para- und Tetraplegiker, oft noch mit einem drängenden sexuellen Bedürfnis, in "Zweimann-Zellen" eines Heimes ohne jede persönliche Privatsphäre als Rückzugsraum unter einer oft penetranten Bevormundung durch Pfleger lebenslang leben müssen, wo man in unserer Gesellschaft doch sogar Mördern Einzelzellen bietet und ihnen nach 15 Jahren Haft die Freiheit schenkt. Aber man denke ebenso an die langsam dahinsiechenden Kranken in Pflegeheimen mit den Körper entstellenden Dekubitalgeschwüren, mit deshalb notwendig auf den Bauch verlegten After und dauernd bettlägerig, die ihre Mitmenschen draußen lebendig vorbeiziehen sehen, ohne dass der Lebensinhalt aus mehr bestehen kann, als alles das zu sehen, was der Fernsehempfänger hergibt. Beispiele könnten fortgesetzt aufgezählt werden. Es sei auf das schon oben genannte Buch von Claus Fussek als Zeugnis einer ignorant übersehenen Wirklichkeit hingewiesen, deren Missachtung keinesfalls von den Medizinern um Jörg-Dietrich Hoppe mit "professioneller Distanz" begründet werden kann.

Welcher Befürworter des Sterbens in Hospizen und Pflegeheimen kann noch ernsthaft und mit "Uberzeugung den Schrecken solchen Sterbens öffentlich verharmlosen und von einem "menschenwürdigen" Lebensende sprechen? Wieder laufen Ideen und Ideale auf und werden zu "Wirklichkeiten" deklariert.

Ein Psychiater bemerkte in einem Gespräch: "Warum soll es einen lieben Gott geben? Müssen wir nach unserer Erfahrung nicht ebenso von der Vorstellung eines bösen Gottes ausgehen und entsprechend handeln?" -- Eine ebenso berechtigte, politikrelevante Hypothese! Wieso auch sollte dann der Mensch ein Ebenbild eines solchen Gottes sein?

Passive und aktive Sterbehilfe sind eines der Themen, über die in unserer Gesellschaft lebhaft diskutiert wird, diskutiert werden muss. Und das Bedenkliche hierbei ist, dass jeder mit einer anderen Auffassung zu diesem Thema mit Gruppenschelte bestraft wird, wenn nicht sogar von Juristen strafrechtlich verfolgt. Und die Begründung? Man stellt sich autoritär auf den Standpunkt, das Leben eines Menschen sei nicht sein Eigentum, also könne er damit nicht machen, was er wolle. Es gehöre, um es jedem Zugriff seitens der Menschen zu entziehen, einer höheren Instanz, die man sich dogmatisch vorgibt. Damit legt man jede Verantwortung für den Leidenden voll in die Verfügungsgewalt einer solchen dogmatisch postulierten höheren Macht. Unerträgliches Leid kann nicht beendet werden, der Mensch muss aufgrund einer Idee, etwa der von der persönlichen "Läuterung durch das Sterben", weiterhin unerträglich leiden, zwangsweise. Der begründete Wunsch, sein Leben selbstbestimmend zu beenden, wird ignoriert.

Es besteht aber Hoffnung, diese Ideologie zu überwinden, was immer einen zeitaufwendigen Akt der "Uberzeugung bedarf. Wie viele müssen aber inzwischen noch so sterben, wie sie sich das nicht erhofft hatten? Und die Toten haben eben keine politische Lobby.

Tod auf Wunsch: Bald in Frankreich möglich?

"Paris (dpa) [01.07.2004] - Ein französischer Parlamentsausschuss hat nach achtmonatiger Arbeit ein Gesetz vorgeschlagen, wonach Ärzte Todkranke auf deren Wunsch hin sterben lassen könnten. Der Ausschuss rückt dabei von dem gesetzlichen Verbot der aktiven Sterbehilfe nicht ab und sieht seine Empfehlung auch nicht als passive Euthanasie an. Geregelt werden müsse, unter welchen Umständen Kranke das Recht haben sollten, dass man sie sterben lasse, erläuterten die 31 Abgeordnete des Ausschusses in ihrem am Mittwoch [, den 30.06.2004] in Paris vorgelegten Bericht. Der Ausschuss wurde eingerichtet nach dem spektakulären Fall des schwerstbehinderten Vincent Humbert, dem ein Arzt und seine Mutter den Wunsch zu sterben im vergangenen Jahr erfüllt hatten. Der Fall löste in Frankreich eine Diskussion über Sterbehilfe aus. In Umfragen hatte sich eine überwältigende Mehrheit für ein Sterbehilfe-Gesetz bei unheilbaren Krankheiten und unerträglichem Leiden ausgesprochen. Nach 80 Anhörungen empfehlen die Abgeordneten einen präzisen und gesicherten Weg. Dies solle durch gemeinsame und nachvollziehbare Entscheidungen der Ärzte geschehen. Todkranke sollen in einer Art Sterbe-Testament ihren Willen festlegen und Ärzte in bestimmten Fällen einem Patientenwunsch folgen können, sie nicht zu behandeln."

"Sie nicht zu behandeln", ist hier als Mindestforderung zu verstehen. Professionelle Hilfe zur Selbsttötung, aktive Sterbehilfe ist dem nicht zu verweigern, der dies will. Wenn Juristen und Politiker hier die Gefahr sehen, dass durch eine politische Freigabe der aktiven Sterbehilfe dem Mord Vorschub geleistet werde, dass mit der juristischen Freigabe der aktiven Sterbehilfe eine unkontrollierbare "Lawine des Tötens" losgetreten werde, ein Bruch des ethischer Dammes gegen das Töten erfolge, so ist das grundsätzliche Tötungsverbot eines Menschen durch Menschen als Damm gegen Mord eine zu primitive Einstellung. Es gibt sicher Methoden, den Willen eines Menschen, sein Leben zu beenden, vertragsrechtlich unbestreitbar abzusichern. Ein Sterbehilfe-Gesetz bei unheilbaren Krankheiten und unerträglichem Leiden ist jedenfalls ein weiterer Schritt in der Reihe von Entbindungen von Idealismen, sowohl ein Schritt zu Selbstbestimmung auch in diesem Lebensabschnitt als auch ein Schritt zur Entlastung des "Okosystems Erde, was kein Zynismus ist. Hierbei kommt Juristen und juristisch denkenden Politikern eine bedeutende Aufgabe zu. Wenn man einer Sterbehilfe-Institution wie der "Dignitas" ein Profitstreben anlastet, so mag das begründet sein. Solcherart Institutionen kommt jedenfalls in der Gesellschaft die Aufgabe zu, den Weg hin zu einer in der Gesellschaft breit akzeptierten Sterbehilfe als Bestandteil medizinischer Dienstleitung zu bereiten. Dann versiegt jedes kritikwürdige Profitstreben ohnehin.

Frank-Reiner Rupprecht formulierte seine "Thesen zum Recht auf Freitod mit medizinischer Hilfe":

  • "Das Recht auf einen selbst bestimmten Freitod (Suizid) zu einer vom Individuum selbst bestimmten und erwählten Zeit ist ein Naturrecht des Menschen und ein evidentes Menschenrecht, das keiner weiteren Begründung bedarf [ ...] Das Recht auf einen selbst bestimmten und selbst zu vollziehenden Freitod mit medizinischer Unterstützung ist auch eine Konsequenz der Freiheit und Autonomie des Menschen [ ...]
  • Die Humanität verpflichtet, diese Aussagen von Menschen[, die selbst Leiden, Schmerzen und Qualen subjektiv empfinden,] als berechtigte Ursachen ihres Sterbewunsches zu akzeptieren.
  • Daraus ergibt sich, dass auch psychische und seelische Ursachen allein (Depressionen) als Gründe für einen Sterbewunsch anzuerkennen sind. Hierzu gehört z.B. auch der Verlust von Angehörigen (Lebenspartner, Kinder, Enkel, nahe Freunde). Solche Verluste sind als Gründe für den Sterbewunsch und die Zurverfügungstellung eines Sterbemedikaments anzuerkennen [ ...]
  • Der Gesetzgeber [ ...] darf sich nicht mehr indirekt mitschuldig machen, dass jährlich Tausende von Suizidenten von Dächern springen, sich auf Bahngeleise legen oder andere unwürdige Formen des Freitodes wählen."

Im Juli 2005 veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) ein 10-Thesen-Papier zur aktuellen Diskussionslage in Deutschland und forderte einen notwendigen ethischen Pluralismus, der nicht nur die Sterbehilfe betrifft:

"In einer pluralen Gesellschaft unterschiedlicher Werte- und Glaubenshaltungen muss der Sowohl-als-auch-Standpunkt, nicht der Entweder-oder-Standpunkt die Regel sein. Wer als Mensch von der heilbringenden Kraft des Leidens im messianischen Sendungsauftrag Christi überzeugt ist [ ...], soll so leben und so sterben dürfen. Wer hingegen vom Gegenteil überzeugt ist oder differenzierte andere Auffassungen hat, soll nach diesen anderen Auffassungen leben und sterben dürfen -- mit durchsetzbarer staatlicher Unterstützung."

Es ist schon abwegig, dass ein Sterbewilliger undifferenziert als psychisch krank in eine geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses eingeliefert wird, statt zu allererst zu prüfen, ob sein Wille zu sterben nicht dem respektablen Gedankengut eines mündigen Bürgers entstammt, der allein seine Qualia erlebt und der allein über dieses sein Erleben entscheidet. Frank-Reiner Rupprecht bringt dies nochmals auf den Punkt:

"Jeder Mensch muß selbst entscheiden können, wieviel Leid er aushalten kann oder will. Das Maß an Leid darf ihm nicht zudiktiert und aufgezwungen werden, auch nicht mit ein paar schmerzlindernden Mitteln und Psychopharmaka, die er vielleicht ablehnt. Fremdbestimmung in der Frage des Leidensmaßes, das ein Mensch nach Meinung von Ärzten oder Pflegern aushalten soll, ist eine besonders grausame, unmenschliche Form der Vergewaltigung des Menschen und seiner Menschenrechte. Es ist Medizin ohne Menschlichkeit!
[ ...]
Man muss auch akzeptieren, daß schwere Behinderung zum Freitod führen können, weil nicht jeder Mensch sich damit abfinden kann, auch wenn die Hilfe der Gesellschaft noch so groß ist. Nicht jeder kann und will verkrüppelt, plötzlich erblindet usw. weiterleben. Nicht jeder will Vorbilder, Fürsorger, Tröster usw. haben. Das muß schließlich jedem frei stehen, sonst haben wir neben Zwangsbehandlung auch noch die Zwangsbetreuung und ideologische Zwangsindoktrination"

Es ist Medizin ohne Achtung vor der Menschenwürde, folglich -- um es einmal formaljuristisch zu sehen -- doch wohl verfassungwidrig. Der juristisch verweigerten erwünschten Hilfe durch "Töten auf Verlangen" gemäß § 216 StGB steht die "unterlassene Hilfeleistung" gemäß § 323c StGB gegenüber. Aber in der Diskussion zu diesem Thema scheint langsam und beschwerlich doch Bewegung gekommen zu sein.